Wie im Beitrag „Direkte Demokratie und Drohung von Arbeitsplatzverlust“ beschrieben, werden die meisten Abstimmungskampagnen mit der Drohung von Arbeitsplatzabbau geführt. Hierzu werden öfters die schweizerischen Arbeitslosenzahlen im Vergleich mit dem internationalen Umfeld herangezogen. Die dabei von den Politikern und oft vom Bundesrat erwähnte Arbeitslosenquote von 3% und etwas höher ist Selbsttäuschung. Es stellt sich natürlich die Frage, warum argumentieren viele Politiker mit dieser zweifelhaften „tiefen“ Arbeitslosenquote. Wahrscheinlich ist es der Versuch, den Status quo im wirtschaftspolitischen Abstimmungskampf zu propagieren bzw. die Bevölkerung in Richtung voll durchökonomisierte Gesellschaft zu bewegen.
Erwerbslosenquote ILO und die Arbeitslosenzahlen SECO
In der Schweiz werden zwei Statistiken zu Arbeitslosigkeit bzw. Erwerbslosenquote veröffentlicht. In der öffentlichen Debatte werden meistens die von der SECO monatlich veröffentlichten Arbeitslosenzahlen angeführt. Im März 2016 lag die schweizerische Arbeitslosenquote bei 3.6 %. Dagegen war die Erwerbslosenquote 5.1 % im 1. Quartal 2016.
Die Statistik der SECO erfasst nur Personen, die bei den regionalen Arbeitsvermittlungsämtern (RAV) als arbeitslos registriert sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Person eine Arbeitslosenentschädigung erhält oder nicht, beispielsweise werden die Ausgesteuerten nicht berücksichtigt.
Quelle: SRF, Echo der Zeit vom 9.01.2015 – Weniger Arbeitslose dank der «Ausgesteuerten»
Letztendlich enthält diese Statistik Ungenauigkeiten sowohl im Zähler wie auch im Nenner. Im Zähler, da nicht alle Arbeitslosen beim RAV registriert sind und im Nenner, weil die Zahl der Erwerbspersonen möglicherweise unterschätzt wird.
Die Erwerbslosenquote gemäss ILO wird vierteljährlich durch das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlicht. Die Quote basiert auf der Arbeitskräfteerhebung (SAKE) und wird mittels Telefoninterviews und Hochrechnung bei der schweizerischen und ausländischen ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz erhoben. Natürlich ist diese Stichprobe nicht frei von Fehlern, jedoch für den internationalen Vergleich weitaus besser geeignet als die Statistik aus dem SECO.
Bundesräte und ihre Selbsttäuschung
Im Folgenden sind zwei Beispiele, in denen der Bundesrat bewusst oder unbewusst der Selbsttäuschung bezüglich der Arbeitslosenquote unterliegt.
Untaugliche Argumentation von Bundesrätin Sommaruga
In den folgenden zwei Sequenzen aus der Abstimmungs-Arena zu Ecopop-Initiative argumentiert Bundesrätin Sommaruga mit der „sensationellen“ Arbeitslosenquote von 3%. Zudem verwechselt sie die Kausalität mit der Korrelation, indem sie die angeblich tiefe Arbeitslosenquote mit der hohen Zuwanderung begründet:
Quelle: SRF, Abstimmungs-Arena vom 31.10.2014: Ecopop-Initiative – Bundesrätin Simonetta Sommaruga
Glücklicherweise korrigiert Reiner Eichenberger die Aussagen von Sommaruga, zudem verweist er indirekt auf die Erwerbslosenquote gemäss ILO:
Quelle: SRF, Abstimmungs-Arena vom 31.10.2014: Ecopop-Initiative – Reiner Eichenberger
Die Anmassung von Schneider-Ammann
Bundesrat Schneider-Ammann fühlt sich berufen, den europäischen Ländern wirtschaftspolitische Ratschläge zu erteilen:
Quelle: SRF, Samstagsrundschau vom 6.12.2014 – Wirtschaftsminister Schneider-Ammann nach dem Ecopop-Nein
Wie üblich leiert er mit Schachtelsätzen seine Propaganda für die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik herunter. Aufgrund seiner Selbsttäuschung spricht Schneider-Amman von einer quasi Vollbeschäftigung in der Schweiz.
Obwohl auch die internationale standardisierte Erwerbslosenquote grosse Verzerrungen aufweist. Gibt es heute wenige Länder in Europa mit einer ähnlichen Erwerbslosenquote wie die Schweiz.
Hat die Schweiz Vollbeschäftigung?
Eine exakte Ermittlung der Arbeitslosenquote ist offensichtlich nicht möglich. Daher ist die Aussage einer quasi vollbeschäftigten Schweiz ziemlich gewagt. Vom Wirtschaftsminister Schneider-Ammann sind in diesem Artikel drei Mitschnitte aus den Jahren 2012, 2014 und 2016. Jedes Mal sprach er von Vollbeschäftigung.
Quelle: SRF, Tagesschau vom 4.06.2012 – Schneider-Ammann: Keine Alternative zu Untergrenze
Auch neulich bei der Vorlage für längere Ladenöffnungszeiten argumentiert der Wirtschaftsminister mit der angeblichen Vollbeschäftigung.
Quelle: Radio SRF vom 6.06.2016 – Schneider-Ammann: Längere Ladenöffnungszeiten sind kein Thema mehr
Dem kann entgehen gehalten werden, dass beispielsweise im 1. Quartal 2016 die Jugenderwerbslosenquote bei 8.3% lag, für mich definiert sich Vollbeschäftigung anders. Boris Zürcher, Chef der Direktion für Arbeit beim SECO sprach anfangs 2014 von einer fast Vollbeschäftigung.
Quelle: SRF, Tagesgespräch vom 10.01.2014 – Boris Zürcher zur Angst vor Arbeitslosigkeit
Wie von Boris Zürcher erwähnt, gibt es eine gewisse Sockelarbeitslosigkeit dies sich aus der friktionellen und strukturellen Arbeitslosigkeit ergibt. Die Arbeitslosigkeit ist Konjunktur unabhängig, trotzdem kann diese Arbeitslosigkeit mit Gegenmassnahmen wie beispielsweise verbesserte Arbeitsvermittlung oder Umschulungen reduziert werden.
Keine Vollbeschäftigung sagt die Gewerkschaft
Der Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart argumentiert natürlich mit der Erwerbslosenquote gemäss ILO. Mit der höheren Prozentzahl fordert er staatliche Interventionen für die Senkung der Arbeitslosigkeit.
Nachdem seit der Abstimmung zur SVP-Einwanderungsinitiative über Arbeitskräftemangel debattiert wurde und jedes Jahr Zehntausende aus dem Ausland in der Schweiz einen Arbeitsplatz fanden, reden plötzlich alle von drohender Arbeitslosigkeit. Welches Problem haben wir denn jetzt?
Wir haben so viele Erwerbslose wie noch nie. Die Erwerbslosenquote liegt bei 4,7 Prozent. Wir nähern uns den 5 Prozent von Deutschland und Österreich an. Die Schweiz braucht Vollbeschäftigung. Es ist unglaublich, dass Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann bei der heutigen Erwerbslosenquote behauptet, es herrsche Vollbeschäftigung.
Quelle: Interview mit Daniel Lampart – «Ein fairer Kurs liegt klar über 1.30 Franken»
Fazit
In der Schweiz haben wir zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden für die Arbeitslosenzahlen. Die Bundesräte haben ein Interesse daran, mit einer möglichst tiefen Arbeitslosenquote zu argumentieren. Jedenfalls bin ich noch nie einem Statement eines Bundesrates mit dem Verweis auf die ILO Erwerbslosenquote begegnet. Diese Illusion der „niedrigen“ Arbeitslosenquote ist hilfreich beim Regieren und im Abstimmungskampf zu wirtschaftlichen Themen.
Ich finde es unredlich, wenn mit einer konzeptionell fraglichen Statistik Politik gemacht wird. Zudem wiegt man sich mit dieser im internationalen Vergleich tiefen Arbeitslosenquote in falscher Sicherheit. Bei internationalen Vergleichen sollte möglichst die für diese Vergleichbarkeit konzipierte Statistik der Erwerbslosenquote gemäss ILO verwendet werden.