Einige EU-Staaten möchten das schweizerische Bankgeheimnis bzw. Bankkundengeheimnis über die Grenzen des OECD-Musterabkommens aufweichen. Der OECD-Standard sieht bisher keinen automatischen Informationsaustausch (AIAT) vor, wie dieser rudimentär unter einigen EU-Ländern praktiziert wird.
Ich möchte mit diesem Eintrag nicht meine persönliche Präferenz gegenüber dem AIAT zum Ausdruck bringen. Vielmehr zeigt dieses Thema, wie bestimmte schweizerische Eliten mit Falschinformationen und Ängste versuchen, die Bevölkerung zu manipulieren.
Die schweizerische Elite verkündet, der AIAT funktioniere nicht. Anderseits propagieren der Bundesrat und die Bankiervereinigung die Abgeltungssteuer für EU-Kontoinhaber auf Schweizer Banken.
Mythos AIAT funktioniert nicht
Von der Presse und einigen Politikern wird immer wieder von der nicht verarbeitbaren AIAT-Datenflut gesprochen. Hierzu zwei Aussagen:
Datenflut. Kressl ist typisch für deutsche Finanzpolitiker. Hochkompetent in der steuerlichen Diskussion von Pendlerpauschalen und Abzugsverboten für häusliche Arbeitszimmer, den drängenden Alltagsfragen deutscher Steuerbürger. Aber das Wesen moderner Finanzmärkte ist für sie kein Thema. Wie die Eigentümer der Deutschland AG ihre Vermögen verwalten lassen, ist ihnen weitestgehend unbekannt. Sie antworten auf den Mythos des Bankgeheimnisses mit ihrem Gegenmythos, dem automatischen Informationsaustausch.
Wie immer vernebeln die Mythen den Blick auf die empirischen Tatsachen, der Klarheit schaffen könnte. Das Konzept des automatischen Informationsaustauschs ist nämlich untauglich. Es liefert Unmengen von Daten, die kaum zu verarbeiten sind und für die jeweilige steuerliche Bewertung im Herkunftsland der Steuerpflichtigen oft unbrauchbar sind. Und der Informationsaustausch leidet an riesigen Erfassungslücken. Es wird nicht ermittelt, wenn jemand sein Konto bei einer Bank in einem berichtspflichtigen Land über eine Trustgesellschaft mit Domizil in einem nichtberichtspflichtigen Karibikstaat hält. Hinter vorgehaltener Hand geben Schweizer Banker zu, dass der offiziell als Untergang der Privatsphäre gescholtene automatische Informationsaustausch in seiner heutigen Form einer Witznummer gleichkomme. Seine Einführung im Private Banking hätte den gleichen Charakter wie das EU-Zinsbesteuerungsabkommen: den einer Dummensteuer.
Quelle: Bilanz 6/10, „Weissgeld-Strategie: Die Stunde der Chaoten“
Herr Christoph Blocher sieht gar eine staatliche Willkür, weil die Datenmenge nicht verarbeitet werden kann.
Quelle: Weshalb unsere Eliten mit dem Rücken zur Wand stehen vom 27.02.2010
Und weil seine These der Willkür so schön ist…
Quelle: Jean Ziegler vs. Christoph Blocher, Standpunkte der Basler Zeitung
Blocher’s Willkür-Theorie zum Dritten:
Quelle: Jean Ziegler vs. Christoph Blocher, Standpunkte der Basler Zeitung
Scheinbar traut sich Christoph Blocher und den Bürgern nicht zu, der Steuerbehörde eine korrekt ausgefüllte Steuererklärung abzugeben. Nur so ist erklärbar, dass er sich vor der angeblichen Willkür des Steueramtes so fürchtet.
Dem Steuerpflichtigen wird wahrscheinlich jede Motivation zum Steuerbetrug genommen, wenn sich dieser bewusst wird, dass die Steuerbehörde eine Verifizierung seiner im Ausland gehaltenen Vermögen und Einkommen durchführen kann. Auch wenn der AIAT erst die Startlinie überschritten hat, wird sein zukünftiges drohendes Potenzial den Bürger zur Steuerehrlichkeit anhalten.
Wenn digitale Analphabeten Lügen verbreiten
Es ist allgemein bekannt, dass Herr Blocher ein digitaler Analphabet ist, andernfalls wüsste er, dass Computer nicht nur einige Millionen von Datensätzen verarbeiten kann, sondern auch Milliarden von Datensätzen kein Problem darstellen müssen.
Wenn sich der AIAT in Europa durchsetzt, werden sicherlich nicht Steuerbeamte die Kontendatensätze von Hand mit der Steuererklärung abgleichen. Der internationale Zahlungsverkehr funktioniert auch einwandfrei, letztendlich hängt die Qualität des AIAT von den ausgetauschten Daten ab, die informationstechnische Umsetzung wird wohl keine grossen Schwierigkeiten bereiten.
Schweizer Steuerzahler ist längst „gläserner Bürger“
Wenn ich meine Steuererklärung vollständig und wahrheitsgetreu ausfülle, bin ich gegenüber der Steuerbehörde ein „gläserner Bürger“.
Mit dem korrekten Ausfüllen des Formulares “Wertschriftenverzeichnis und Rückerstattungsantrag Verrechnungssteuer” gebe ich dem Steueramt beispielsweise meine Bankkonten bekannt. Zudem geht in vielen Kantonen der Lohnausweis direkt vom Arbeitgeber an die kantonale Steuerbehörde.
Ich mache es nicht so, wie die Wähler eines Parteikollege von Christoph Blocher:
Quelle: Jean Ziegler vs. Christoph Blocher, Standpunkte der Basler Zeitung
Der Aussage von Herrn Blocher entnehme ich, dass das Bankkundengeheimnis einem befreit die Bankkonten der Steuerbehörde bekannt zu geben.
Korrekterweise hat die kantonale Steuerbehörde das Recht, über alle meine Einkommen und Vermögen bescheid zu wissen. Trotzdem fühle ich mich nicht als gläserner Bürger, da nur die dazu Berechtigten meine Einkommen- und Vermögensverhältnisse kennen. Warum wollen die Schweizer Eliten dasselbe Recht den ausländischen Steuerbehörden gegenüber ihren Bürger untersagen? Hierzu zwei Stimmen:
Martin Spieler:
Wer Hand zum automatischen Informationsaustausch bietet, begibt sich auf den Weg zum gläsernen Bürger, wo der Staat bald fast alles über jeden weiss. Während bei uns der Staat davon ausgeht, dass seine Bürger ehrlich sind, ist im Verständnis der EU jeder ein potenzieller Steuersünder. Darum haben die meisten EU-Staaten die Privatsphäre in Finanzbelangen aufgehoben.
Quelle: Bundesrat auf dem Weg zum gläsernen Bürger
Der Chef der Schweizerischen Bankiervereinigung, Urs Roth:
Roth erklärte, die grosse Mehrheit der Kunden Schweizer Banken sei steuerehrlich. Es dürfe nicht darum gehen, den gläsernen Bürger zu schaffen. Auskünfte sollten nur bei Vorliegen von Verdachtsmomenten gegeben werden. Die Schweiz erteile Auskünfte bei Steuerbetrugsfällen gemäss dem Doppelbesteuerungsabkommen.
Quelle: Massnahmen gegen Steueroasen unter Experten umstritten
Unzugänglichkeit der Abgeltungssteuer
Jeder EU-Staat hat ein unterschiedliches Steuersystem, so existieren die unterschiedlichsten Varianten wie Zinserträge, Dividenden und Kapitalgewinne versteuert werden. Beispielsweise kennen einige EU-Länder die Verlustkompensation oder unterschieden zwischen kurz- und langfristigen Kapitalgewinnen. Die grösste Schwierigkeit besteht aber sicherlich in den progressiven Steuersätzen, dabei wird die Steuergerechtigkeit nur durch die Summierung aller Einkommen erreicht. Mit diesem Informationsmangel über das Steuersubjekt bezüglich seiner totalen Einkommen und Vermögen wird Abgeltungssteuer im EU-Raum einen schwierigen Stand haben.
Fazit
Die gesamte Thematik zeigt auf, wie krampfhaft ein grosser Teil der schweizerischen Elite versucht das Bankkundengeheimnis bzw. den auf den ausländischen Vermögen damit generierten Erträgen zu verteidigen. Der AIAT wird schlecht geredet, da er angeblich nicht funktioniert bzw. funktionieren kann und die Abgeltungssteuer wird als die Lösung propagiert, obwohl deren Umsetzung viel Kompromissbereitschaft der beteiligten Parteien benötigt. Dabei werden Halb- und Unwahrheiten beliebig gestreut, um auch in der Zukunft mit steuerlichen Vorteilen, die ausländischen Anleger zu akquirieren. Für einen EU-Kunden ist die Abgeltungssteuer nur eine akzeptable Lösung, wenn die Steuerbelastung durch die schweizerische Abgeltungssteuer gleich oder tiefer als seine normale Steuerveranlagung in seinem Heimatland ausfallen würde oder seine angelegten Gelder würden aus dubiosen Quellen stammen.
Für den ehrlichen schweizerischen Steuerzahler ist das Bankkundengeheimnis ziemlich bedeutungslos, weil er seine Steuererklärung vollständig und wahrheitsgetreu ausfüllt. Bei der Debatte über Abgeltungssteuer oder AIAT geht es letztendlich um den Kampf der Steuergerechtigkeit gegen die Erträge aus der Vermögensverwaltung. Es ist für mich unverständlich, warum sich die Gemüter bei der Diskussion über das Bankkundengeheimnis so erhitzen. Ob mit oder ohne Bankkundengeheimnis, der Steuerbeamte wird die Vermögensverhältnisse seiner Steuersubjekte kennen – nicht aber die Nachbarn des Steuersubjektes.
Falls sich in Europa die AIAT durchsetzt, besteht die Gefahr, dass die liquiden Vermögen in Länder abwandern, die dem AIAT nicht kennen. Einmal mehr wäre eine globale Lösung für die Steuergerechtigkeit gefragt, ich bin mir sicher, auch dieses Problem werden die Politiker nicht lösen.